Pressemitteilung: Volkshochschulen in Not

25.05.2020 09:03

Presseerklärung der Volkshochschulen im Landkreis München vom 25.5.2020


Geschäfte, Museen und Schulen, ja selbst Biergärten öffnen wieder, doch die 11 Volkshochschulen im Landkreis München müssen geschlossen bleiben.
Das Lernen Erwachsener – in kleinen Gruppen, unter Einhaltung geregelter Infektionsschutzmaßnahmen – in Integrationskursen, im Sprachenbereich, in der präventiven Gesundheitsbildung, in der politischen, kulturellen und künstlerischen Bildung hat weiterhin keine Perspektive. Diese Situation ist für die Volkshochschulen im Landkreis mit ca. 3.000 freiberuflichen Dozentinnen und Dozenten, über 155 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und insbesondere ihrer ca. 180.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht mehr nachvollziehbar. Obwohl Erwachsenenbildung in Bayern Verfassungsrang hat (Artikel 139 der Bayerischen Verfassung) und in Artikel 1 des Bayerischen Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung als gleichberechtigter und eigenständiger Hauptbereich des Bildungswesens definiert ist, erfährt sie in der Öffnungsdebatte und in einer der größten gesellschaftlichen Krisen seit dem 2. Weltkrieg keine angemessene Berücksichtigung.

Dabei sind die Volkshochschulen gut auf eine Öffnung vorbereitet. Hygiene- und Raumkonzepte sind bereits erarbeitet. Selbstverständlich ist ihnen bewusst, dass es kein schnelles Zurück in die Zeiten vor Corona geben wird.


Deshalb fordern die Volkshochschulen im Landkreis:

1. Öffnungsperspektiven
Dringend benötigt werden zeitliche Perspektiven zur Wiederaufnahme des Kursbetriebs. Entsprechende Hygiene- und Raumkonzepte liegen vor. Es geht nicht um (vor-)schnelle Öffnungen. Maßgabe für diese Perspektive muss immer ein sinnvoller Infektionsschutz sein. Bildung ist kein Luxus in Krisenzeiten, sondern ein öffentliches Gut und bitter notwendig – für gesellschaftliche Teilhabe aller und als beste Prävention vor dem wachsenden Einfluss von Verschwörungstheorien und Fake News.

2. Rettungsschirm für die Erwachsenenbildung auflegen!
Hauptfinanzquelle der Volkshochschulen sind in Bayern und im Landkreis die Gebühren der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (durchschnittlich 40%; hinzu kommen 29% kommunale Zuschüsse, 6% Landeszuschüsse, 25% sonstige Einnahmen). Bis Ende Juli rechnen die Volkshochschulen bayernweit mit einem Finanzloch von 23,5 Millionen Euro. Aufgrund der zu erwartenden Einschränkungen bei einem wieder aufgenommenen Kursbetrieb ab Herbst (kleinere Gruppen, Hygienemaßnahmen, Rückgang von Buchungen, Weiterentwicklung des digitalen Kursangebots) ist bis Ende 2021 mit einer Finanzierungslücke von mehr als 74 Millionen Euro zu rechnen. Die Folgen: Entlassungen und Insolvenzen insbesondere bei den privatrechtlich organisierten Volkshochschulen. Eine über 100-jährige flächendeckende Struktur der Erwachsenenbildung droht zu verschwinden. Die Investition in Volkshochschulen ist eine Investition in die Zukunft. Daher bedarf es einer gemeinsamen finanziellen Anstrengung von kommunaler Seite und auf Landesebene, um das bestehende, gut funktionierende System der Volkshochschulen in Bayern zu retten!

3. Kursleitungen unterstützen!
Die Einnahmen von rund 3.000 freiberuflich tätigen Kursleiterinnen und Kursleitern sind durch den Lockdown von heute auf morgen weggebrochen. Dieser Personenkreis bestreitet den Lebensunterhalt hauptsächlich über den Kursunterricht, ca. 5 Millionen Euro überweisen die Volkshochschulen im Landkreis jährlich an Ihre Kursleiterinnen und Kursleiter. Aufgrund fehlender Betriebsausgaben kommt für diese Personengruppe die Corona-Soforthilfe des Freistaats nicht infrage. Auch der Verweis auf den erleichterten Zugang zur Grundsicherung greift zu kurz. Wir fordern die Staatsregierung auf, nach dem Vorbild anderer Bundesländer einen Unterstützungsfonds für die freiberuflichen Kursleitungen zu initiieren.

 

Volkshochschulen bieten:

1. Offenheit für alle:
Leitgedanke und Prinzip der Volkshochschularbeit ist, dass sie unabhängig von sozialer Herkunft, Nationalitäten, Milieus, Religionen, kulturellen Orientierungen, Alter, Geschlecht und sexueller Identität offen für alle sind. Volkshochschulen sind parteipolitisch und weltanschaulich neutral, pflegen eine offene Lernkultur, eröffnen Bildungschancen für vielfältige Lebenssituationen und führen ihre Bildungsarbeit in der Tradition der Aufklärung durch.

2. Orientierung in der Krise:
Die aktuelle Krise verstärkt eine gefährliche Mischung aus Verschwörungstheorien, politischem Extremismus und demokratiefeindlichem Verhalten. Dieser irritierenden, irrationalen und wissenschaftsverunglimpfenden Entwicklung setzen Volkshochschulen vielfältige Bildungsangebote entgegen, die Orientierungswissen vermitteln und sich deutlich gegen jedwede Form von Ausgrenzung und kruder Wissenschaftskritik positionieren.

3. Ein flächendeckendes Netzwerk an kommunalen Weiterbildungszentren:
Gerade jetzt ist es daher existentiell für die Gesellschaft und jeden Einzelnen, der physischen Abschottung intellektuelle Offenheit, gelebte Freiheit und ein tolerantes Miteinander entgegenzusetzen. Die Volkshochschulen verwirklichen dies durch offene Lernformate, ein unvergleichbar breites Spektrum an Weiterbildung und diskursive sowie digitale Begegnungs- und Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort. Sie sind Bildungspartner der Kommune, sie tragen mit ihren Bildungsangeboten zur Stärkung der Daseinsvorsorge bei und fördern das Potenzial in der Region.

4. Dringend benötigte Bildungsleistungen zur Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe aller:
Bildungsarbeit bedeutet mehr als Wissensvermittlung. Die physischen Bildungsorte sind Orte gelebter Demokratie und Integration. Die Krise offenbart die gesellschaftliche Spaltung und insbesondere die Bildungsbedarfe in einer Zeit der Verunsicherung, fehlenden Perspektiven und sozialen Einschränkungen. Volkshochschulen investieren tagtäglich in die Zukunft, denn sie leisten auch jetzt ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und erfüllen ihren Weiterbildungsauftrag gerade in Krisenzeiten aus Überzeugung verantwortlich, kreativ und digital-gestützt mit Leben.

5. Eine flexible und leistungsfähige Struktur, um Erwachsene in ihrer digitalen Qualifizierung zu unterstützen: Volkshochschulen zeigen einmal mehr (wie schon 2015 während der Flüchtlingskrise), was in ihnen steckt. Das bayernweite Online-Programm „vhs.daheim“ ist für alle kostenfrei, jederzeit abrufbar, aber auch live und interaktiv mittels Chats zu nutzen. Alle Volkshochschulen im Landkreis entwickeln darüber hinaus in atemberaubender Geschwindigkeit alternative Angebote zum Präsenzlernen.

 

Die Volkshochschulen im Landkreis München:
Im Norden des Landkreises München e.V., Im Osten des Landkreises München e.V., Haar e.V., Oberhaching e.V., Oberschleißheim e.V., Pullach e.V., SüdOst im Landkreis München GmbH, gemeinnützige Gesellschaft, Sauerlach e.V., Taufkirchen e.V., Unterhaching e.V., Würmtal e.V.


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