Unsere Kursleiter stellen sich vor: Barbara Jantos-Leitner

19.11.2019 10:58

Barbara Jantos-Leitner im Gespräch mit Fachbereichsleiter Bat-Orgil Dash


Frau Barbara Jantos-Leiter, Sie sind bei der vhs SüdOst seit 2015 als freiberufliche Dozentin tätig. In den letzten Semestern hatten Sie mit den Themen: „Märchenabend für Erwachsene“ und „Lyrikabend“ erfolgreich Kurse gestaltet. Bitte erzählen Sie uns über Ihre bisherige Laufbahn und vor allem den Grund, wie Sie Märchen für Erwachsene entdeckt haben und warum Lyrik Ihnen so wichtig ist? 

Nach dem Abitur habe ich in Freising Gartenbau studiert und anschließend in einer Wasserpflanzen-Gärtnerei gearbeitet.

Ich bin verheiratet und habe fünf Kinder. Ihnen habe ich mit wachsendem Interesse Märchen vorgelesen und dabei auch die unbekannteren Grimm`schen Märchen, die mir aus eigener Kindheit nicht vertraut waren, als nicht minder spannend entdeckt.

Als die Kinder herangewachsen waren, habe ich die Ausbildung zur Erzieherin gemacht und in verschiedenen Einrichtungen gearbeitet. Auch in dieser Arbeit hat mir die Vermittlung der Märchen an die Kinder viel Spaß gemacht.

Während meiner Ausbildung als Tanztherapeutin entdeckte ich auch die therapeutischen, sprich heilsamen Qualitäten der Märchen gerade und insbesondere für erwachsene Menschen: Während eines Seminars, als die Sprache darauf kam, eine Teilnehmerin fühle sich „wie Rumpelstilzchen“, forderte meine Anleiterin mich auf, zu diesem Märchen ein Rollenspiel anzuleiten, was allen Teilnehmern viel Spaß machte und sich als sehr wirksam erwies. Diese Erfahrung gab mir den Impuls, Workshops zu diesem Thema anzubieten. So entstanden die Märchenabende für Erwachsene.

Während der Tanztherapie-Ausbildung bin ich auch dem Dichter Rainer Maria Rilke wieder begegnet in Form von Auszügen aus dem Rilke-Projekt von Schönherz und Fleer, das seine Gedichte mit Musik verbindet und somit möglicherweise auch mit dem Tanz. Die Tiefgründigkeit seiner Lyrik hat mich besonders bewegt und angesprochen. Daraus entwickelte sich in mir der Wunsch, unserer wunderbar vielschichtigen deutschen Sprache, die für mich gerade in der Lyrik so gut zum Ausdruck kommt, wieder mehr Beachtung zu schenken. Daraus sind die Lyrik-Abende hervorgegangen, die die Buchhandlung Kempter auf so freundliche Weise ermöglicht.

„Zusammenleben und Zusammenhalten“ so lautet das Motto für das 100-jährige Jubiläum der Volkshochschule in diesem Jahr. Was würden Sie sagen, inwieweit passen Märchen und Lyrik zu diesem Thema?

Gerade in Zeiten des immer häufigeren virtuellen Erlebens halte ich bewusst an der Wichtigkeit des authentischen, persönlichen Erlebens fest. Das ist für mich sowohl an einem Märchen- als auch an einem Lyrik-Abend erfahrbar. Beginnen wir mit den Märchen: Die Grimm´schen Märchen (nur diese verwende ich) sind altes überliefertes Volksgut, im kollektiven Unbewussten gespeichert, und von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Die Menschen saßen im Winter zusammen beim Licht einer Kienfackel, z.B. beim Gänsefedern-Schleißen, und erzählten sich (Grusel-)Geschichten und Märchen zur Unterhaltung. So erlebt nach seinen Schilderungen noch von meinem Vater um 1920! Die atmosphärische Dichte und das Erleben mit allen Sinnen kann sich glaube ich jeder von uns heute noch vorstellen. Das prägte das Zusammenleben der Menschen damals.

 Diese besondere Atmosphäre wieder lebendig werden zulassen ist eines meiner Anliegen. Deswegen lege ich mein Augenmerk auf die Gestaltung des Raumes. Manche Menschen sagen, dass das Hören von Märchen oder Lyrik umgeben von Büchern wie in der Buchhandlung Kempter an sich schon etwas Besonderes sei. Bei den Märchen sitzen die Teilnehmer im Halbkreis, was schon eine Beziehung zwischen ihnen schafft. Mit Kerzenlicht und besonderer Dekoration lädt der Raum zum Zuhören und Verweilen ein. In behaglicher Atmosphäre fällt es einem leichter, sich zu öffnen und sich einzulassen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für das Wirken eines Märchens: es kann nur dann seine Heilsamkeit für uns persönlich entfalten, wenn wir uns darauf einlassen. Dann können uns die Aspekte erreichen, die für unsere aktuelle Lebenssituation gerade relevant sind, und für uns möglicherweise ein Schlüssel sein können für bestimmte Herausforderungen oder Fragen, die das Leben uns gerade stellt. Märchen sind Entwicklungsgeschichten, entstanden aus dem reichhaltigen Schatz menschlicher Erfahrung. Sie beschreiben Reifungsprozesse der menschlichen Seele in der ihnen eigenen Bilder- und Symbolsprache. Diese verstehen wir nicht rational, sondern intuitiv.

Z.B. erzählt das Märchen „Die drei Federn“ (am 22.10. um 19.30 Uhr) die Geschichte von einem, der eigentlich keine Chance hat, einem „Dummling“, wie aus ihm auf unerwartete Weise einer wird, der „die Krone erhielt und lange in Weisheit herrschte“. Der Protagonist ent-wickelt hier sein in ihm schlummerndes Potential. Das ist übrigens ein Märchen, das auch Kinder sehr ermutigen kann.

Meine Beobachtung ist, dass Menschen nach der Erfahrung eines Märchens sozusagen „am eigenen Leibe“, einen neuen persönlichen Zugang zu den Märchen finden und es ihnen wieder ein Anliegen wird, diese auch ihren Kindern zu vermitteln. Das Vorlesen oder Erzählen eines Märchens in geborgener Atmosphäre kann für die ganze Familie ein Gewinn sein.

Auch die Lyrik erreicht uns mit ihrer Seelen- und Bildersprache auf einer tieferen, intuitiven Ebene. Sie kann uns in eine andere als die gewohnte Alltags-Schwingung versetzen, wenn wir uns auf sie einlassen. Sie kann uns mit Aspekten von uns selbst in Berührung bringen, denen wir im Alltag kaum unsere Aufmerksamkeit schenken und somit zu einer Bereicherung werden. Diesen oft in Vergessenheit geratenen Zugang - möglicherweise zu uns selbst- möchte ich mit meinen Lyrik-Abenden wieder ermöglichen.

Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse: In ihm steckt soviel Lebensweisheit in wunderbarer Sprache ausgedrückt, sodass ich kaum jemanden kenne, den dieses Gedicht nicht anspricht, zumindest die Zeilen: „und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben…

 

Nächster LYRIK-ABEND am 3.12.2019: Gedichte zu den Jahreszeiten II (Herbst-Winter)

Märchen FRAU HOLLE am 28.1.2020

 

Frau Jantos-Leiter, ich bedanke mich für das Gespräch.


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